Arbeit und Coronavirus | Von Michael Scheppe und Anne Koschik | 25. März 2020
Homeoffice
Rechte und Pflichten im Homeoffice: Viele Arbeitnehmer wissen nicht, was sie beachten müssen, wenn sie zuhause arbeiten.
Das Coronavirus breitet sich weiter rasant aus. In Deutschland zählte die Johns-Hopkins-Universität bis Mittwochmorgen 32.991 Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben. Inzwischen gibt es 159 Todesfälle, 3290 Menschen gelten als geheilt.
Das Alltagsleben ist massiv beeinträchtigt – und die Mehrzahl der Arbeitnehmer dazu aufgerufen, im Homeoffice zu arbeiten. „Ärzte, Pfleger, Sanitäter, Apotheker können nicht ins Homeoffice gehen. Sie sind diejenigen, auf die wir uns verlassen, wenn wir krank werden. Wir können sie dabei unterstützen: indem wir, wann immer möglich zuhause bleiben“, empfiehlt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Am vergangenen Sonntag hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den 16 Ministerpräsidenten beraten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das Ergebnis: Umfassende Beschränkungen sozialer Kontakte. Das bedeutet, dass Ansammlungen von mehr als zwei Personen grundsätzlich verboten sind.
Was Manager, Mitarbeiter und Eltern jetzt wissen wollen
Das Virus verbreitet Angst. Die notwendige Versorgung ist sichergestellt, ansonsten fast alles verboten: keine Messen, Veranstaltungen, Ausstellungen finden statt, Restaurants müssen schließen oder das Essen nur noch ausliefern, falls sie nicht schon komplett verriegelt haben, alle anderen Freizeitvergnügungen sind unterbunden, soziale Kontakte auf ein Minimum beschränkt – und die Aktienkurse stürzen ab.
Die rechtlichen Unsicherheiten sind groß: Wer zahlt die Arbeitsmaterialien im Homeoffice? Und bin ich da versichert? Was passiert mit meinem Gehalt? Wie stelle ich die Betreuung meiner Kinder sicher? Muss ich aus Angst, mich anzustecken, überhaupt noch an meinem Arbeitsplatz erscheinen? Und muss ich dem Chef sagen, wenn ich die Symptome des Coronavirus habe?
Wer trägt eigentlich die Kosten, die im Homeoffice anfallen, zum Beispiel für Service-Provider, Telefon, Strom und Arbeitsmaterial?
„Normalerweise muss der Arbeitgeber dafür aufkommen“, sagt Sebastian Schröder, Arbeitsrechtler in der Düsseldorfer Kanzlei Aquan. Zumindest aber müsse der Arbeitgeber an den Kosten beteiligt werden.
Was gilt für den Datenschutz bei plötzlich verordnetem Homeoffice?
Wer haftet, wenn zum Beispiel Hacker ihr Unwesen auf dem Rechner im Homeoffice treiben oder anderweitig Daten nach außen dringen (abgehörte Telefonate, Abfangen von Mails etc.)? Das sind Fragen, die sich mancher Mitarbeiter jetzt stellt.
„Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass der Datenschutz auch im Homeoffice eingehalten werden kann, zum Beispiel über VPN-Clients: Diese ermöglichen einen sicheren Zugang zu den wichtigsten Unternehmensdaten“, erklärt Schröder. Bei sehr sensiblen Daten könnte es im Homeoffice allerdings Probleme geben, denn vielerorts könnten die erhöhten Anforderungen an deren Schutz in der Kürze der Zeit eventuell nicht gewährleistet sein.
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„Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, kommen in Fragen des Datenschutzes aber nicht in die Beweispflicht, sofern sie die Anweisungen des Arbeitgebers zum Datenschutz beachtet haben“, so Schröder. Für den Datenschutz im Homeoffice sei vorrangig der Arbeitgeber verantwortlich.
Wer kommt für die Sicherheit der Person im Homeoffice auf?
Bei einem Unfall ist das die gesetzliche Unfallversicherung – laut sozialgerichtlicher Rechtsprechung. „Voraussetzung ist, dass im Moment des Unfalls ein sachlicher Zusammenhang zur Tätigkeit besteht“, betont Arbeitsrechtler Schröder.
Wer sich verletzt, muss dann aber den sogenannten Durchgangsarzt aufsuchen, der eine besondere Zulassung der Landesverbände der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hat. Die freie Arztwahl ist bei einem Arbeitsunfall also eingeschränkt.
Falls Arbeitsmaterial beschädigt wird: Wer muss die Kosten von Reparatur oder Neubeschaffung übernehmen?
„Wenn der Arbeitgeber die Arbeitsmittel, wie zum Beispiel Notebooks oder Monitore, für die Arbeit im Homeoffice zur Verfügung stellt, haftet er auch im Versicherungsfall“, sagt Sebastian Schröder. Einzige Ausnahme: Der Mitarbeiter hat die Arbeitsmittel vorsätzlich beschädigt. „Es gelten die Grundsätze zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung.“
Manche Firmen haben angekündigt, ihren Mitarbeitern das Gehalt nicht weiterzuzahlen, sollten sie sich privat in Gefahr begeben und dadurch unter Quarantäne gestellt werden. Ist das rechtens?
Ja, ist es. Denn es gibt eine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Niemand dürfe sich absichtlich „trotz sämtlicher Corona-Warnungen und des Risikos bewusst“ in eine Lage bringen, „die dazu führt, dass er nicht mehr zur Arbeit erscheinen kann“, sagt Arbeitsrechtler Schröder. „In der aktuellen außergewöhnlichen Situation halte ich es für rechtens, dass Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Handlungsanweisungen geben, die auch das Privatleben betreffen. Zum Beispiel findet es bestimmt kein Arbeitgeber gut, wenn seine Mitarbeiter jetzt zu privaten (Corona-) Partys nach Bayern fahren oder in holländischen Clubs tanzen. Dann kann man dem Arbeitgeber nicht die Lohnzahlung aufbürden.“
Kann ich mein Kind zu Hause betreuen?
Bereits am vergangenen Freitag hatten fast alle Bundesländer beschlossen, Schulen und Kindertagesstätten ab Montag zu schließen. Das bringt viele Angestellte in Not, selbst wenn sie im Homeoffice arbeiten können.
Arbeitnehmer müssen aber „alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen“, um die Kinderbetreuung selbst sicherzustellen, weiß Arbeitsrechtler Schröder. In vielen Städten besteht die Möglichkeit, dass Kinder von Eltern, die in „systemrelevanten Berufen“ arbeiten, zunächst notbetreut werden. Schröder rät zu frühzeitigen Gesprächen mit dem Arbeitgeber, um gegebenenfalls Überstunden, Resturlaub oder Zeitguthaben abzubauen.
Falls Eltern kurzfristig keine Betreuung sicherstellen könnten, könne rein rechtlich §616 BGB greifen, der besagt, dass bei einer „vorübergehenden Verhinderung“ der Anspruch auf Arbeitslohn erhalten bleibt, schreibt der Verband für Fach- und Führungskräfte (DFK).
Kann ich zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist?
Jeder Arbeitnehmer hat laut § 45 Sozialgesetzbuch V jährlich einen Anspruch auf zehn Kinderkrankentage pro Kind. Alleinerziehende sogar 20 Tage. Der Gehaltsanspruch bleibt in dieser Zeit bestehen, allerdings nicht in voller Höhe. Das Kind, für das diese Tage in Anspruch genommen werden können, darf aber nicht älter als zwölf Jahre sein, schreibt der DFK.
Über eine Ausweitung dieser Regelung wegen längerer Auszeit durch notwendige Kinderbetreuung beraten heute die Sozialpartner. Denn nach Ausschöpfung der bisherigen Regelung gilt: Keine Arbeit, kein Lohn.
Kann ich aus Angst vor Ansteckung vorsorglich zu Hause bleiben?
Nein. „Arbeitnehmer haben kein Recht, präventiv zu Hause zu bleiben, nur weil sie sich vor einer Ansteckung fürchten“, sagt Esther Dehmel, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle. Mitarbeiter können auch nicht einfach im Homeoffice bleiben, weil es hierzulande kein Recht auf Heimarbeit gibt. Andersherum darf der Betrieb auch nicht einfach die Heimarbeit verordnen.
Was gilt, wenn ein Kollege erkrankt ist?
Angestellte, die mit erkrankten Kollegen in Kontakt gekommen sind, sollten sich ärztlich untersuchen lassen. Bis das Ergebnis feststeht, können sich diese Mitarbeiter freistellen lassen – und werden weiter entlohnt.
Brauche ich ein Attest?
Es gilt die übliche Regelung für Atteste. Je nach Arbeitgeber müssen sich Arbeitnehmer bei einer Erkrankung zunächst beim Vorgesetzten melden und entweder sofort oder spätestens nach drei Tagen ein Attest vorlegen. Wegen der erhöhten Anfrage und Unsicherheit durch das Coronavirus hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Sonderregelung beschlossen. Patienten, die keinen Kontakt zu Sars-Cov-19 Patienten hatten und nicht aus einem betroffenen Gebiet kommen, können bei leichten Erkrankungen ein Attest per Telefon bekommen.
„Ärzte dürfen nach telefonischer Anamnese eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für bis zu sieben Tage ausstellen und dem Patienten per Post zusenden. Auf diese zeitlich befristete Ausnahmeregelung haben sich die KBV und der GKV-Spitzenverband heute geeinigt,“ heißt es auf der KBV-Homepage. Die Regelung gilt seit dem 9. März. Die Sonderregelung zur AU-Bescheinigung gilt zunächst für vier Wochen, kann aber verlängert werden.
Bekomme ich weiter mein Gehalt, auch wenn die Firma geschlossen wird?
Ja. „Wenn Betriebe wegen des Coronavirus aufgrund behördlicher Anordnungen geschlossen werden, muss der Arbeitgeber grundsätzlich weiter den Lohn bezahlen“, sagt Arbeitsminister Hubertus Heil. Die Beschäftigten müssen die ausgefallene Arbeitszeit auch nicht nacharbeiten, denn der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko.
Auch wenn eine Firma vorsorglich den Betrieb einstellt, muss sie die Gehälter weiterzahlen und darf nicht auf Überstundenkonten zugreifen.
Solche Fälle sind durch das Infektionsschutzgesetz geregelt. Der Arbeitgeber muss in Vorleistung treten, hat aber Entschädigungsanspruch gegenüber dem Gesundheitsamt beziehungsweise der jeweiligen Behörde, die die Betriebsschließung angeordnet hat. Das gilt für sechs Wochen. Im Anschluss zahlt die Behörde eine Entschädigung direkt an die Mitarbeiter.
Wird der Lohn auch weitergezahlt, wenn ein Mitarbeiter unter Quarantäne steht?
Wer im Homeoffice arbeiten kann, ist durch eine häusliche Quarantäne nicht eingeschränkt – und bekommt sein Gehalt. Diejenigen aber, die auf die Arbeit im Unternehmen angewiesen sind, hätten zwar keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf ihren Lohn, erklärt Björn Otto, Partner bei CMS Hasche Sigle.
Kommentar Sehnsucht nach Quarantäne
Wie das Coronavirus uns physische und psychische Grenzen aufzeigt. Und eine Chance sein kann, die Arbeitswelt umzukrempeln.
Allerdings müsse der Arbeitgeber den Betroffenen nach dem Infektionsschutzgesetz sechs Wochen lang eine Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalls zahlen. Am Ende also bekommen Mitarbeiter ihr Geld. „Dauert die Quarantäne allerdings länger als sechs Wochen, wird die Entschädigung nur noch in Höhe des Krankengeldes gewährt“, sagt Otto.
Das gilt allerdings nur für fest angestellte Mitarbeiter, Freiberufler haben das Nachsehen.
Muss ich Bescheid geben, wenn ich in einem Risikogebiet war?
Ja. Arbeitnehmer sollten ihre Firma unverzüglich informieren, wenn sie sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben und von dort zurückkehren oder Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person hatten, sagt Schröder.
Mitarbeiter, die im Verdacht stehen, am Virus erkrankt zu sein, können von den Behörden sogar an der Arbeit gehindert werden.